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_Über 500 TeilnehmerInnen bei Jugendtagung 2023

30. März 2023

550 Personen, vorwiegend aus dem Bereich der Jugendarbeit – so viele wie noch nie – nahmen am 28. März 2023 an unserer diesjährigen Online-Jugendtagung teil! Der Titel der Kooperations-Veranstaltung mit dem Verein ISI lautete heuer „Snusen, Kiffen, Pillen schlucken“ und bot inhaltlich ein spannendes Update zum Thema „jugendlicher Substanzkonsum“. Durch das Programm führten in bewährt charmanter Weise Herbert Baumgartner, stellvertretender Leiter des Instituts Suchtprävention, pro mente OÖ und Christine Rankl vom Verein ISI.

Gleich zu Beginn stand ein brandaktuelles Thema im Mittelpunkt: Unsere KollegInnen Dieter Geigle und Nicole Hartmann gaben spannende Einblicke zum „Snusen und Vapen“. Dieter Geigle, diplomierter Sozialarbeiter und Absolvent des Masterlehrgangs „Sucht- und Gewaltprävention“ ist am Institut Suchtprävention im Bereich „Schule Familie Elementare Bildungseinrichtungen“ tätig. Er bot in seinem Referat einen Überblick über die unterschiedlichen Varianten neuer Nikotinprodukte. Diese rauchfreien Nikotinprodukte liegen derzeit im Trend, vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Während „Vapes“ – eine moderne Lifestyle-Form der E-Zigarette – grundsätzlich gesetzlich geregelt sind, gibt es bei den Nikotinbeuteln -umgangssprachlich als „Snus“ bezeichnet - derzeit noch keine bundesweite Regelung, die etwa den Konsum für Minderjährige verbietet oder Höchstgrenzen für den Nikotingehalt festlegt.  Wie sehr die neuen Nikotinprodukte im Alltag der Jugendlichen bereits angekommen sind, hat Nicole Hartmann, ebenfalls diplomierte Sozialarbeiterin und Mitarbeiterin am Institut Suchtprävention (Außerschulische Jugend und Arbeitswelt) eindrucksvoll anhand einer gemeinsam von Institut Suchtprävention und Verein I.S.I. initiierten Umfrage mit qualitativer Erhebung veranschaulicht. Unter dem Motto „immer und überall“ werden die kleinen Beutel in der Schule, beim Sport, in der Freizeit verwendet. Bei den Motiven für den Konsum zeigte sich ein geteiltes Wirkungsspektrum zwischen Entspannung und Stimulation. So werden die Nikotinsäckchen einerseits zu einer von den Konsumierenden erwarteten Konzentrations- und Leistungssteigerung, andererseits aber auch zum „Chillen“ verwendet. Neben einem hohen Abhängigkeitsrisiko bei regelmäßigem Konsum kommt es auch zu akuten Überdosierungen oder Vergiftungserscheinungen (z.B. Erbrechen). Diese werden aber zum Teil bewusst einkalkuliert.

Fazit? Nikotinbeutel und bunte Einweg-E-Zigaretten sind bei bestimmten Gruppen von Jugendlichen im Alltag angekommen. Eine quantitative Einordnung, wie stark das Phänomen gesamtgesellschaftlich verbreitet ist, lässt sich aus der Befragung jedoch nicht ableiten.  Problematisch ist in jedem Fall jedoch das Ausprobieren und Experimentieren ohne ausreichendes Wissen und Erfahrung über Wirkung und Gesundheitsgefährdung. Zudem gibt es einen starken Einfluss von Social-Media-Plattformen wie Influencer*innen und Nikotinproduktfirmen, die ihre Lifestyle-Werbung an Erwachsenen vorbei direkt zur Zielgruppe Jugendliche bringen. Für die Prävention wäre es wünschenswert, wenn es mehr Klarheit bei der Regulierung (Gesetze) geben würde, aber auch im gesellschaftlichen Umgang ist noch viel Aufklärungs- und Diskussionsbedarf gegeben.

Der zweite Vortrag des Tages behandelte ein nicht minder aktuelles Thema, das in der jüngeren Vergangenheit immer wieder verstärkt in den Fokus von Suchtberatungsstellen gelangt ist: den Medikamentenmissbrauch von Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen. Lars Schäfer, Psychologe und Leiter der Individuellen Suchthilfe Gudrunstraße im Verein Dialog in Wien bot dabei einen spannenden Einblick in eine durchaus komplexe Thematik. Neben Schmerzmitteln und opioidhaltigen Medikamenten spielen in der Suchtberatung vor allem Benzodiazepine eine große Rolle. Diese Gruppe von Medikamenten, die oft auch als „Beruhigungsmittel“ bezeichnet werden, dürfen zwar nur über ein ärztliches Rezept ausgestellt werden. Dennoch werden die Medikamente häufig illegal weitergegeben und auch von Jugendlichen konsumiert. Lars Schäfer führte dabei die durchaus unterschiedlichen Wirkweisen vor Augen, die bei den Konsummotiven eine Rolle spielen.

Zu unterscheiden sei in diesem Zusammenhang, ob beispielsweise Medikamente fallweise bzw. in einem Probierkonsum im „Genuss“ (Party)-Kontext konsumiert werden, oder ob bereits ein alltäglicher, regelmäßiger, ein problematischer Konsum oder bereits eine Abhängigkeit vorhanden ist. Erschreckend sei in der Praxis oft das fehlende Risikobewusstsein, also dass Pillen geschluckt werden ohne die Wirkung und Dosis zu kennen. Zu den Ursachen eines problematischen Konsums würden aber auch Gewalterfahrungen bzw. andere Traumafolge-Erkrankungen zählen. Die missbräuchliche Verwendung von Benzodiazepinen beinhalte generell ein großes Gefahrenpotential, da die Beeinträchtigung sehr schnell eintreten kann. Dadurch kann es nicht nur zu lebensgefährlichen Unfällen (zum Beispiel im Straßenverkehr) kommen, sondern v.a. durch Mischkonsum mit Alkohol oder anderen Substanzen auch zu mitunter tödlichen Überdosierungen. „Niemals Mischkonsum!“ lautet daher eine zentrale Botschaft von Lars Schäfer. Ist eine Medikamentenabhängigkeit bereits evident, sei der Ausstieg oft sehr schwierig für die Betroffenen. Wichtig im Beratungssetting sei daher zunächst der Beziehungsaufbau, der eine Selbstreflexion und im besten Falle eine Verhaltensänderung erst ermögliche.

Nach einer Pause wurde der zweite Teil der Online-Tagung von Manuel Hochenegger eröffnet. Manuel Hochenegger hat Rechts- und Politikwissenschaften studiert, ist systemischer Berater und seit zehn Jahren als Drogenberater in der Drogenarbeit Z6 tätig. Er koordiniert auch das stationäre Drug Checking Programm der Einrichtung in Innsbruck. Im Mittelpunkt seines Vortrages stand die Substanz Cannabis. Die Ausführungen boten ebenfalls einen praxisnahen Einblick in die Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen. So wird einerseits keine andere illegale Substanz derart häufig konsumiert und in Peergroups als „normal“ angesehen wie Cannabis. Der Konsum von Cannabis(produkten) gilt häufig als cool, trendy und chillig, für manche ist es gar Statement und Lebenseinstellung. Andererseits wird es jedoch langfristig zum Problem, wenn Menschen dabei in ihrer persönlichen Entwicklung stehen bleiben und im Vergleich zu anderen gleichaltrigen Freunden keine Ausbildung abgeschlossen haben oder keinen fixen Arbeitsplatz finden.

Vor diesem Rahmen skizzierte Manuel Hochenegger drei thematische Schwerpunkte: Die im Drugchecking-Programm ermittelten Wirkstoffgehalte, das neue Phänomen HHC und die Ebene der synthetischen Cannabinoide. Dabei zeigte sich, dass die Stichproben oft sehr unterschiedliche Anteile des „legalen“ CBD- und des illegalen THC-Wirkstoffes enthielten. Sowohl ein sehr hoher THC Gehalt mit geringen CBD-Anteilen als auch der umgekehrte Effekt (THC Gehalt oft niedriger als von den Konsumierenden angenommen) seien zu beobachten. Beim Thema HHC, einem mittlerweile in Österreich nicht mehr legal erwerbbaren Cannabis-Derivat zeigten sich in jüngerer Vergangenheit oft zum Teil besorgniserregende Tendenzen, vor allem mit der der chemisch als „HHC-O“ bezeichneten Linie, die in Verbindung mit Atemwegserkrankungen besonders gefährlich eingestuft wird. Ein besonderes Problemfeld seien laut Hochenegger auch synthetische Cannabinoide, die mit der Cannabispflanze nichts mehr zu tun haben, sondern rein chemisch erzeugt werden. Diese sind bereits seit mehreren Jahren auf dem Markt und bergen unkalkulierbare Risiken, die auch mit Todesfällen in Verbindung stehen. Das Fazit des Überblicks lautete, dass der Cannabis-Markt nicht immer so harmlos ist, wie er für viele erscheint, und durchaus Risiken birgt, vor allem wenn es um Produkte geht, die mit synthetischen Substanzen in Verbindung stehen.

Den Abschluss des Vortragsreigens gestaltete Jens Kalke, seinerseits wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung in Hamburg und Autor zahlreicher Studien im Bereich Sucht(präventions)forschung. Als Politikwissenschafter, der über die Drogenpolitik der bundesdeutschen Landtage promoviert hat, beschäftigt er sich auch gegenwärtig mit dieser Thematik. Im Zentrum seines Vortrags stand die vor allem in Deutschland derzeit aktuelle politische Frage der Cannabisregulierung und in wieweit Abgabemodelle mit Suchtprävention und Jugendschutz vereinbar sind. Jens Kalke beleuchtete dabei den aktuellen Status Quo. Dabei zeigte sich, dass es bislang trotz mehrerer Ankündigungen noch wenig konkrete und zum Teil sehr unterschiedliche Umsetzungsmodelle bzw. -vorschläge vonseiten der regierenden Parteien gibt. Daher erwartet Jens Kalke noch keine rasche Umsetzung der Legalisierung von Cannabis in Deutschland. Ein Mitgrund: Auch der Bundesrat müsste zustimmen, wobei hier noch keine Mehrheit in Sicht sei. Weiteres Thema des Vortrags waren die auch sehr unterschiedlichen Abgabemodalitäten in Kanada, Uruguay und verschiedenen US-Bundesstaaten. Erste Evaluationsergebnisse zeigten zwar in der Gesamtheit kurzfristig einen Anstieg beim Konsum, jedoch könne man daraus erfreulicherweise keinen Automatismus erkennen, dass dies auch bei Jugendlichen der Fall sei, wie Erhebungen aus Kanada zeigten. Eine empirisch gesicherte Erkenntnis über “Best-Practice-Modelle“ bei der Cannabisprävention im Rahmen von Regulationsmodellen gebe es aber bislang noch nicht. Daher sei es wichtig eine gezielte (vergleichende) Forschung zu fördern, so Kalke in seinem Fazit, der aber auch davon ausgeht, dass die Elemente einer effektiven Alkohol- und Tabakprävention auch bei der Cannabisprävention wirken könnten. Das sei in der Praxis ein so genannter „Policy-Mix“ von Verhältnis- und Verhaltensprävention, wobei bei den konkreten Abgabemodellen noch viel Diskussionsbedarf gegeben sei.

Außer Zweifel steht, dass die Jugendtagung 2023 ein abwechslungsreiches Programm mit hervorragenden Beiträgen geboten und sehr viele Personen – auch über die Grenzen Oberösterreichs hinaus - erreicht hat. Der Chat wurde als Diskussions- und Frageplattform während dieser Online-Veranstaltung rege in Anspruch genommen und die vielen positiven Rückmeldungen haben uns viel Freude bereitet und bestärken uns in unserer Arbeit! 

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